„Wie das echte Leben, nur besser“: Mit diesem Slogan wirbt die Dating-App Tinder. Freunde und Bekannte berichteten mir immer wieder von aufregenden, enttäuschenden, skurrilen Erfahrungen mit Menschen, die sie über diese App kennengelernt und meist in kürzester Zeit persönlich getroffen hatten. Höchste Zeit für mich, sie mir selbst einmal genauer anzuschauen.
„Tinder“ heisst übersetzt so viel wie „Zunder“. Zwischen den Frauen und Männern, die dort miteinander in Kontakt treten, soll es also sofort knistern und funken. Ich lade mir die App, die 2012 erschienen ist, kostenlos aus dem Apple Store auf mein Smartphone. Das Symbol ist eine kleine Flamme. Die Installation dauert nur wenige Sekunden. Überrascht bin ich zunächst, dass ich mich nur über meinen Facebook-Account anmelden kann. Die Idee, mein – auch beruflich genutztes – Facebook-Konto mit der App verbinden zu müssen, gefällt mir nicht besonders. Aber die Neugier siegt. Die App kann nun auf meine Freundesliste, meine „Gefällt mir“-Angaben, meine sexuelle Orientierung, meine E-Mail-Adresse und meine bisherigen Arbeitgeber zugreifen. Alles, um – wie die App mir verrät -, vollständigere Profile anzulegen, die Authentizität meiner Angaben zu prüfen und mir im Falle des Falles Support zur Verfügung zu stellen. Von anderen Dating-Portalen bin ich größere Diskretion gewohnt.
Ich habe mich an den Gedanken noch nicht recht gewöhnt, da erscheint schon der erste Kennenlern-Vorschlag auf meinem Gerät. Ich gehöre altersmäßig genau in die Zielgruppe, ich bin 27 Jahre alt und die App wendet sich an Frauen und Männer zwischen 18 und 35. Als heterosexueller Frau werden mir Männer vorgeschlagen, die in meine Altersspanne passen sollen. Nils, 22, der mir als erstes vorgeschlagen wird, ist mir aber ehrlich gesagt viel zu jung. Unter dem Bild kann ich wählen, ob ich den Kontakt mit dem roten „X“ beende oder Nils mit dem grünen Herz meine Sympathie signalisiere. Ich versuche mir erst einmal ein bisschen Orientierung zu verschaffen und schaue ins Menü.
Die App hat mein Facebook-Profilbild übernommen und nennt darunter direkt meinen Arbeitgeber. Darunter stehen mir drei Menüpunkte zur Auswahl: „Entdeckungs-Einstellungen“, „App-Einstellungen“ und „Hilfe und Support“. Ich wähle den ersten Menüpunkt und sehe mir die Einstellungen genauer an. Die „Entdeckungsfunktion“ ist voreingestellt, wenn ich sie deaktiviere, können die anderen User meine Karte nicht mehr sehen und mich nicht mehr lokalisieren. Außerdem kann ich hier einstellen, wen ich überhaupt kennenlernen möchte: Männer oder Frauen in einem bestimmten Suchumkreis zwischen 2 und maximal 161 km. Auch die Altersgruppe kann ich hier bestimmen. Ich suche zunächst Männer zwischen 35 und 40 im Umkreis von 10 km. Sorry, Nils!
Unter den App-Einstellungen kann ich bestimmen, wann ich von der App benachrichtigt werden möchte, etwa bei „Neuen Matches“, „Nachrichten“ oder „Likes“. Die Entfernung zu meinem virtuellen Gegenüber kann ich mir in Kilometer oder Meilen angeben lassen. Unter „Hilfe und Support“ werde ich auf die Website von Tinder weitergeleitet. Hier finden sich eine Reihe von FAQs und Hinweise, was man bei Fehlern tun kann. Die Einstellungsmöglichkeiten scheinen mir relativ breit, ich kann eigene Fotos hinzufügen, mich mit Instagram verbinden, chatten und anderes mehr.
Nachdem ich meine Einstellungen angepasst habe, wird mir nicht mehr Nils, sondern René, 35, als Match vorgeschlagen. Durch das sogenannte „Swipen“ kann ich René, der mir auf den ersten Blick nicht sehr sympathisch ist, überspringen, und meinen nächsten Match anzeigen lassen. Kay sieht nett aus, ich gebe ihm ein „Like“. Gleichzeitig frage ich mich, ob es wirklich sinnvoll ist, potentielle Partner auf diese Weise aus- oder abzuwählen. Ein einziges Foto, eine Altersangabe, ein Arbeitgeber oder Hochschulort, und ich soll entscheiden, ob ich diese Person kennenlernen möchte? Ich kenne diese Funktion übrigens von anderen Dating-Portalen, wo das Match-System allerdings nur eine von verschiedenen Kennenlern-Optionen darstellt. Meist kann ich von dem angezeigten Bild dann direkt zum Profil des Users wechseln. Das geht hier offenbar nicht.
Bevor ich mein Herz an ein Bild verschenke, recherchiere ich lieber noch ein bisschen. Die Zahlen sind durchaus beeindruckend: Insgesamt 100 Millionen Mal wurde Tinder bereits heruntergeladen. Anfang 2015 hatte die App weltweit rund 50 Millionen Nutzerinnen und Nutzer, davon sind rund 10 Millionen jeden Tag aktiv. Das Swipen, das ich gerade selbst ausprobiert habe, wird jeden Tag rund 1,4 Milliarden Mal gemacht. Interessant finde ich, dass nur rund 55 % der User Single sind. 3 % von ihnen sind geschieden, 12 % bereits in einer festen Beziehung, 1 Millionen von ihnen zahlen, um Tinder zu benutzen.
Das wundert mich. Ich habe nichts zahlen müssen. Ich lese weiter und erfahre, dass die App nur dann kostenpflichtig ist, wenn man bestimmte Zusatzfunktionen nutzen möchte. Dazu gehören vor allem die manuelle Festlegung des eigenen Standortes und die Möglichkeit, eine einmal getroffene Wahl zurückzunehmen, also jemanden neu zu bewerten.
Nachdem ich eine Weile mit der App Tinder verbracht habe, bahnen sich tatsächlich interessante Gespräche mit Männern an, die mich ebenso als interessant eingestuft haben wie ich sie. „It’s a Match!“ Mit einem von ihnen möchte ich mich in der nächsten Woche sogar einmal persönlich treffen. Ich bin schon gespannt!
Bevor ich mithilfe der App weiter kommuniziere, flirte und Verabredungen treffe, spreche ich mit Freundinnen über ihre Erfahrungen mit Tinder. Einige von ihnen sind regelrecht süchtig nach der App. Entgegen der weitverbreiteten Meinung berichten sie mir aber, dass es bei Tinder nicht nur darum gehe, sich zu schnellem Sex zu verabreden. Das ist gut, denn daran habe ich eigentlich kein Interesse. Ich möchte vor allem Menschen kennenlernen, die ich interessant finde und mit denen es sich lohnen könnte, nicht nur einen Abend zu verbringen. Die Berichte ermuntern mich. Ich verabrede mich für die nächste Woche in einer Bar, in die ich an den Wochenenden auch mit Freunden gelegentlich gern gehe. Mein Match sagt zu. Die Spannung steigt!
An dem Abend, als sich das Date nähert, schreiben wir uns noch ein letztes Mal über die App, um die Verabredung zu bestätigen. Der Abend verläuft nett, die anfängliche Aufregung verfliegt schnell. Aber der Funke, den Tinder schlagen sollte, will sich nicht recht entzünden. Ich glaube, mein Match und ich sehen das ähnlich, denn nach etwa 2 Stunden verabschieden wir uns. Immerhin haben wir ein paar gemeinsame Interessen gefunden, vielleicht sehen wir uns ja doch irgendwann noch einmal wieder.
Tipps für die Benutzung von Tinder
Zum Schluss vielleicht noch einige Tipps, wie man mit Tinder zumindest meiner Erfahrung nach Spaß haben kann und Frust vermeidet.
Lade mehrere Fotos von Dir hoch und schreibe etwas über Dich. Tinder ist oberflächlich genug, dank den zusätzlichen Informationen können sich andere Leute ein besseres Bild von Dir machen.
Du solltest Dir im klaren sein, dass Tinder weitreichenden Zugriff auf das eigene Facebook-Profil verlangt. Zwar kann die App nicht auf dem Profil posten, aber das bedeutet nicht, dass die Daten dort sicher sein müssen.
Welche Informationen man dann mit interessanten Matches über die App austaucht, will ebenfalls gut überlegt sein. Persönliche Kontaktdaten wie die Handynummer, Adresse oder andere Daten würde ich jedenfalls nicht voreilig ausgeben. Möglich sind zum Beispiel eine eigene – anonyme – Mail-Adresse und ein Skype-Adresse für solche Kontakte, die insbesondere nicht beruflich genutzt werden.
Was für Dates man bei Tinder vereinbart, hängt ganz davon ab, was man sich wünscht und dort zu finden hofft. Wer auf Casual Sex aus ist, wird bei Tinder sicherlich problemlos fündig. Aber die App ist nicht nur auf diesen Zweck ausgerichtet. Wenn man den Anderen erst einmal in Ruhe kennenlernen möchte, sollte man zu diesem Wunsch stehen und ihn auch offen kommunizieren, um Missverständnisse zu vermeiden.
Wenn man ein Date ausmacht, empfiehlt es sich in jedem Fall schon aus Sicherheitsgründen, sich zunächst auf neutralem Grund zu treffen, beispielsweise in einer Bar oder einem Café. Unabhängig davon, wie anziehend ein Match im virtuellen Raum aussieht – eine Einladung in die eigenen vier Wände oder ein Besuch ist immer riskant, wenn man sich im realen Leben noch nie begegnet ist.
Offene, klare und verbindliche Kommunikation ist im Übrigen auch im Internet eine gute Strategie. Auch wenn der Raum virtuell ist – es sind doch echte Menschen, die hier kommunizieren. Das trifft auch und insbesondere dann zu, wenn man das Interesse an einer bestimmten Person verliert und sich deshalb oder aus anderen Gründen aus einem Gespräch zurückzieht. Auch hier ist es ein Gebot der Höflichkeit, zumindest die Sachlage klar zu stellen.
Fazit
Ich für meinen Teil habe Tinder in der kurzen Zeit, in der ich es nun nutze, durchaus zu schätzen gelernt. Man lernt schnell und unkompliziert Menschen aus der Umgebung kennen und kann sich zu realen Treffen verabreden. So knüpft man Kontakte in der Nachbarschaft, die man ohne die App vielleicht niemals gefunden hätte. Meine Offline-Existenz möchte ich deshalb aber auf keine Weise einschränken, und von dem Suchtpotential, von dem mir Freundinnen berichteten, spüre ich auch noch nichts. Letztlich lerne ich Menschen immer noch liebe persönlich kennen, in eine Bar, bei meiner Arbeit oder auf einem Konzert.
Am Ende muss wohl jede und jeder für sich entscheiden ob Tinder das Richtige für Ihn ist und seine ganz eigenen Erfahrungen mit Tinder machen.
Über Tinder
Die wichtigsten Informationen über Tinder im Überblick:
Tinder ist eine Dating App
Tinder funktioniert nur auf einem Android Gerät, Iphone oder Ipad von Apple
Ein Facebook Account ist Voraussetzung um sich bei Tinder anzumelden
Tinder gibt es in einer kostenlosen sowie einer Plus Variante. Bei der kostenlosen Version sind die Anzahl Likes pro Tag beschränkt. Bei der Plus Variante unbegrenzt, zusätzlich kann man sich die zu letzt angezeigte Person noch einmal anzeigen lassen und seine Entscheidung ändern. Der Tinder User kann seinen Standort wechseln und mehr Super Likes vergeben. Weiter gibt es keine Werbeeinblendungen wobei diese auch in der kostenlosen Version kaum vorkommen.
Tinder lässt sich die Plus Version jedoch gut bezahlen. Ein Tinder Plus Abo kostet zwischen 6 und 22 Franken, das Tinder Gold Abo sogar 8 bis 27 Franken.